Optimierungsdrang und Minusgrade
- Konrad H.
- 5. Dez.
- 2 Min. Lesezeit
Seit meinem Aufbruch waren Winteretappen ein immer aufs Neue als unrealistisch verworfener Plan. Am Ufer der Weser, in den Herbstwäldern der Rureifel und über den im Nebel liegenden Tälern des Wasgau schien der Gedanke auch in den Wintermonaten mit dem Zelt aufzubrechen so verheißungsvoll wie unvernünftig. In Isomatte und Schlafsack eingenähte Ausrüstungskennziffern kamen technisch-rational mit Temperaturen um den Gefrierpunkt gut klar und die Erfahrungen mit Nächten, an deren Ende das Tarp in der Morgendämmerung steifgefroren und mit einer dünnen Eisschicht überzogen war, belegten ihren Wahrheitsgehalt. Eine Etappe mit dauerhaft deutlich unter Null Grad hingegen müsste anders ausgerüstet werden und blieb, in Ermangelung entsprechender finanzieller Spielräume, stets was sie war: eine Idee, verortet irgendwo in einem undefinierten Zukunftsszenario.

Am Ende der sechzehnten Etappe blicke ich nass und durchgefroren auf die nächtliche Donau, die sich durch die Kalkfelsen im Südwesten der Schwäbischen Alb windet. Hinter mir liegen mittlerweile zweitausenddreihundert Kilometer. Vor einigen Jahren hätte ich jedem, der das Vorhaben trotz beruflicher und privater Verpflichtungen und ohne die nötigen Mittel zu einer mehrere tausend Kilometer langen Wanderung aufzubrechen, als unrealistisch bezeichnet hätte, vorbehaltlos zugestimmt. Eine aussichtslose Träumerei, eskapistisches Wunschdenken, ein „Irgendwann-einmal“. Trotzdem stehe ich von unserer Haustür aus betrachtet am anderen Ende von Deutschland und habe jeden Meter aus eigener Kraft und zu Fuß zurückgelegt.
Nachdem ich auf meinem Weg durch das Rothaargebirge einen Abend mit Fernwanderern verbracht hatte, die ihrerseits bereits seit mehreren Monaten unterwegs waren und die mich im Rahmen einer überzeugend vorgetragenen Gepäckminimalismuskampagne vom mir bis dahin nicht gegenwärtigen, viel zu hohen Gewicht meiner Ausrüstung überzeugten, hatte ich meinen alten Schlafsack und meine Isomatte im hintersten Winkel meines Kleiderschranks dem Vergessen überlassen und sie durch bessere und vor allem leichtere Modelle ersetzt. Jetzt, mit der sechzehnten Etappe im Rücken und erneuten Überlegungen zu einem realistisch umsetzbaren Winteraufbruch, bringen sie sich leise in Erinnerung. Ob sich Isolationskennzahlen und Temperaturgrenzwerte addieren lassen oder nicht lässt sich nur auf einem Weg herausfinden: Ausprobieren. Bestenfalls ohne zu leichtsinnig zu werden.
Seit dem Abend im Rothaargebirge habe ich erkannt, dass ich das zu tragende Gewicht zwar bedenken, aber nicht überbewerten sollte. Es gibt unterwegs zahlreiche Parameter, die entscheidenden Einfluss auf den Verlauf des Weges nehmen können, manche planbar, andere nicht, und das Gewicht des Rucksacks ist nur eine Komponente von vielen. Je länger ich laufe, desto mehr verfestigt sich der Eindruck, dass nicht die Optimierung meiner Ausrüstung den entscheidenden Unterschied macht, sondern wie ich Entscheidungen treffe und Prioritäten setze.
Die Zugtickets sind gebucht. Im schlimmsten, doch unwahrscheinlichen Fall wird es so kalt, dass ich nachts weitergehen muss, aber Mitte Januar werde ich von der Schwäbischen Alb aus in Richtung Alpen aufbrechen. Im Rucksack ein Zelt, zwei Schlafsäcke und zwei Isomatten.
Auch diese Website wird weiterziehen: Voraussichtlich im Frühjahr 2026 wird sie in aktualisierter und angepasster Form unter www.deutschland-zu-fuss.de zu erreichen sein.




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